Über das Recht auf Stadt

„Recht auf Stadt“ – mehr als nur ein guter Slogan

Andrej Holm

Unter dem Stichwort „Right to the City“ („Recht auf Stadt“) konstituieren sich weltweit neue städtische Protestbewegungen, die gegen die neoliberale Hegemonie eigene Ansprüche an den städtischen Entwicklungen einfordern.

Die Aktivitäten und Forderungen die sich auf ein „Recht auf Stadt“ beziehen sind dabei sehr vielfältig: in New Orleans fordern die Mieter/innen der Sozialwohnungssiedlungen die Rückkehr in ihre preiswerten Wohnungen Jakob/Schorb 2008), in Madrid protestieren Sexarbeiterinnen und Bewohner/innen gegen die Verdrängung aus ihrer Nachbarschaft (http://antitriball.wordpress.com/), in Istanbul wehrte sich eine Roma-Nachbarschaft gegen den Abriss einer ganzen Siedlung (Tan 2009), in Wuppertal mobilisierte ein breites Bündnis gegen das kommunale Spardiktat und in Hamburg besetzten Künstler/innen die letzten historischen Gebäude im Gängeviertel um die Neubaupläne eines Investors zu verhindern. Kaum ein Stadtprotest der letzten Jahre, der nicht auf die Parole „Recht auf Stadt“ zurückgriff. Wie ist diese hohe und auch internationale Attraktivität für ein „Recht auf Stadt“ zu erklären und welche Potentiale birgt der Ansatz für städtische Soziale Bewegungen?

Das Konzept

Inhaltlich geht die Forderung nach einem „Recht auf Stadt“ auf den französischen Soziologen Henri Lefebvre zurück, der schon in den 1960er Jahren das “Recht auf die Stadt” als eine “Recht auf den Nichtausschluss” von den Qualitäten und Leistungen der urbanisierten Gesellschaft konzipierte (Lefebvre 1990: 160). In seinem Text Le droit à la ville von 1968 beschreibt Henri Lefebvre die kapitalistische Stadt, insbesondere ihre sozioökonomische Segregation und die damit einhergehenden Entfremdungserscheinungen wie der „Tragik der banlieusards“, die in weit vom Zentrum entfernte „Wohnghettos“ vertrieben wurden (Lefebvre 1973: 121). Vor diesem Hintergrund stellt er die Forderung auf nach einem „Recht auf die Stadt“ als kollektive Wiederaneignung des städtischen Raumes durch buchstäblich an den Rand gedrängten Gruppen auf.

Lefebvres Aufruf, das „Recht auf die Stadt“ zu ergreifen und die Stadt zu verändern bezieht sich dabei gleichzeitig auf die Stadt als physische Form und die mit ihr in Wechselwirkung stehenden sozialen Verhältnisse und Praktiken. Gemeint sind damit alle Formen des diskursiven und instrumentellen Entwurfs künftiger städtischer Entwicklungen. „Recht auf die Stadt“ – so ließe sich dieses Verständnis zusammenfassen – beschränkt sich nicht auf die konkrete Benutzung städtischer Räume, sondern umfasst ebenso den Zugang zu den politischen und strategischen Debatten über die künftigen Entwicklungspfade.

Vor dem Hintergrund der fordistischen Stadtentwicklung von Paris benennt Lefebvre zunächst das Recht auf Zentralität und das Recht auf Differenz als die zentralen Bestandteile eines Rechts auf die Stadt. Das Recht auf Zentralität steht für den Zugang zu den Orten des gesellschaftlichen Reichtums, der städtischen Ìnfrastrukturen und des Wissens. Das Recht auf Differenz deutet die Stadt als Ort des Zusammenkommens, des sich Erkennens und Anerkennens und der Auseinandersetzung. In anderen stadtsoziologischen Debatten ist von der ‚Integrationsmaschine Stadt’ die Rede, die aus der Fähigkeit Verschiedenartigkeiten zu verdichten, einen individuellen und gesellschaftlichen Mehrwert produziert.

Eine dritte Ebene des ‚Rechts auf die Stadt’ orientiert sich an den utopischen Versprechungen des Städtischen und reklamiert ein Recht auf die schöpferischen Überschüssen des Urbanen. Hintergrund dabei sind die Erfahrungen des fordistischen Klassenkompromisses, der in den funktionalen, modernen Stadtplanungen „unbefriedigende Lösungen für die sozialen Grundbedürfnisse“ hervorbrachte. So wurde etwa das ‘Recht auf Wohnung’ in den Projekten des Massenwohnungsbaus nur unter dem Verlust anderer ‘städtischer Qualitäten’ bedient. Insbesondere die Stadt als offener Raum des kulturellen Austausches und der Kommunikation war – so die Argumentation von Lefebvre – in den Wohnungsbauprojekten nicht zu finden.

„Recht auf Stadt“ und soziale Bewegungen

Seit den späten 1990er Jahren wurde Lefebvres Forderung sowohl in der Geographie und Stadtforschung als auch in sozialen Bewegungen vielfach wieder aufgenommen (Mayer 2009) . Hintergrund ist nun weniger als bei Lefebvre die fordistische Stadt der Moderne, als vielmehr die neoliberale Stadt, die mit neuen Produktionsweisen in Verbindung steht, eine neue Gestalt annimmt und neue Ausschlüsse produziert. Für die dauerhaft ökonomisch Ausgeschlossenen oder die aus gentrifizierten Innenstädten verdrängten Bewohner/innen, aber auch für die wachsende Zahl der von restriktiven Zuwanderungspolitiken betroffenen Migrant/innen und Illegalisierten stellt sich die Frage nach der Teilhabe an der Stadtgesellschaft und ihren Ressourcen in sehr unmittelbarer Weise.

Die Attraktivität des „Recht auf Stadt“ Konzeptes für Protestmobilisierungen lässt sich vor allem auf seine Vieldeutigkeit zurückführen. Das „Recht auf Stadt“ lässt sich nicht auf einen individuellen Rechtsanspruch im juristischen Sinne verkürzen (Marcuse 2009:193) sondern ist gesellschaftliche Utopie und kollektive Forderung zugleich. Das „Recht auf Stadt“ skizziert Vorstellungen einer besseren Welt und gibt Anregungen für die Wunschproduktion sozialer Bewegungen – zugleich werden mit dem „Recht auf Stadt“ meist konkrete Forderungen verbunden, die oft mit umsetzbaren Reformstrategien verbunden werden (Harvey 2008: 37 ff.).
Für Protestbewegungen kann das „Recht auf Stadt“ verschiedene Funktionen haben.

Das „Recht auf Stadt“…

  • ist Legitimationsressource im Sinne einer moralischen Ökonomie, die legitime Vorstellungen von sozialen Normen und Verpflichtungen mit einer breiten öffentlichen Zustimmung verbindet. Insbesondere die Formulierung eines Rechts auf Nicht- Ausschluss von den städtischen Qualitäten hat einen universellen Charakter (Holm 2009).
  • ist Orientierungsmaßstab für die Organisation des Gemeinwesens und eröffnet Perspektiven der (lokal)staatlichen Institutionalisierung verschiedener Forderungen. So können verschiedene Instrumente, Programme und Leitbilder von Stadtregierungen mit den skizzierten Dimensionen eines „Rechts auf Stadt“ beurteilt und überprüft werden.
  • ist Praxisorientierung für eine Ausrichtung sozialer Bewegungen auf eine politische Selbst- und Mitbestimmung sowie Praktiken der (Wieder)Aneignung. Das „Recht auf Stadt“ lässt sich nicht auf konkrete Forderungen und Projekte beschränken sondern steht für nichts weniger als den Anspruch auf eine (Re)Politisierung der Stadtpolitik, verstanden als eine eine öffentliche Verhandlung über Dinge, von den alle Betroffen sind.
  • ist Organisationsansatz für neue breite Bündnisse, da unter dem Dach eines „Recht auf Stadt“ verschiedene, sonst marginalisierte Themen und Initiativen zu „neuen Mehrheitsbündnissen“ verknüpft werden können (Liss/Staples 2008). In den US-Städten aber auch in Hamburg gibt es bereits Versuche für die Institutionalisierung von solchen Netzwerken.

Die neoliberale Neustrukturierungen der Gesellschaft werden sich verstärkt in den Städten umsetzen und dort sichtbar werden. Gesellschaftliche Utopien und Alternativen werden daher immer auch Alternativen für die Organisation des Städtischen sein. Mit einem „Recht auf die Stadt“ verbinden sich nicht nur Mobilisierungen zu einzelnen Konfliktlinien marginalisierter Interessengruppen, sondern die Chance auf sozialer Mobilisierungen und neue Bündnisse, die Perspektiven einer Vergesellschaftung jenseits von Staat und Markt verfolgen.

Quelle: http://gentrificationblog.wordpress.com/2010/07/07/recht-auf-stadt-mehr-als-ein-guter-slogan/

Hinterlasse einen Kommentar